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Stéphanie Cailleau (F)

Das Brachland, die Claytonia und der Tagger

Nach einem Monat in den Lichtenberg Studios teilt Stéphanie Cailleau ihre künstlerische Recherche rund um ein Berliner Brachland, die Kubanische Claytonia und einen Sprayer. Ihre botanischen Beobachtungen wurden durch die Graffiti des Viertels durchkreuzt, auf welche sie mit poetischen Collagen auf den Mauern Berlins reagierte.

Ausstellungsansicht von Das Brachland, die Claytonia und der Tagger

"Als ich zum Residenzaufenthalt in die Lichtenberg Studios kam, hatte ich den Plan, urbane Wildpflanzen zu erforschen. Ich fand ein kleines Brachland in der Türrschmidtstraße 6, etwa 200 m2 groß, durch einen Zaun zwischen zwei Gebäuden verschlossen und rückseits an die Bahngleise grenzend. Die Größe dieses Raums schienen mir perfekt für die bescheidene Forscherin, die ich bin.

 

Ich schlüpfte also durch den Zaun und betrat diesen kleinen, wilden Raum. Frühlingsdrachen, Kleine Pimpinelle, Weiße Brühe, Löwenzahn, Schöllkraut, Purpurglöckchen, Nachtkerze, Fenchel, Tannisia, Sauerampfer, Johanniskraut, Beifuß, Aufrechte Rispe, Goldrute, Wicke, Schafgarbe, Natternkopf, Rundblättrige Geranie, Brennnessel, Claytonia, Herzgespann, Storchschnabel usw. Trotz der geringen Größe des Geländes ist meine Liste lang und nicht erschöpfend. Es gibt hier eine reiche Vielfalt an Pflanzen und ich frage mich, welche verschiedenen Faktoren dazu geführt haben, dass diese Pflanzen hier gelandet sind. Zu den Pflanzen, die meine Aufmerksamkeit erregen, gehört die Kubanische Claytonia, die ich noch nicht kannte und die auch als Postelein genannt wird. Sie ist sehr grafisch und ich habe sie noch nirgendwo sonst in der Stadt gesehen...

 

Als ich den Boden des Brachlandes absuche, finde ich auch einen Rucksack voller Spraydosen, aber keine Hinweise auf seinen Besitzer. Ich beschließe herauszufinden, wem der Rucksack gehört, indem ich die Farben der Spraydosen und der Tags an den Wänden des Brachlandes vergleiche. Aus Neugierde versuche ich, die gleichen Tags in der Stadt außerhalb der Brache zu finden. In der Nähe eines SDK-Tags, an der Ecke Buchberger- und Coppistraße, entdecke ich ein riesiges Beet mit Postelein in einem weiteren kleinen Brachland! Und sie stehen in voller Blüte! Mich hat die Spur der Sprayer auf die Spur der Pflanzen geführt, ich bin dank SDK auf die Quelle der Postelein gestoßen! Ich schließe daraus, dass die Sprayer, ohne es zu wissen, Gärtner sind! Indem sie in verborgenen Gebieten wie meiner Brache sprayen, suchen sie Gegenden mit einer großen Pflanzenvielfalt auf. Sie tragen sicherlich zur Verbreitung verschiedener Arten bei, da sie Samen unter ihren Schuhsohlen oder in den Falten ihrer Kleidung mit sich führen.

 

Diese unwahrscheinliche Begegnung zwischen einem Sprayer und einer Pflanze hat mich zu einem kurzen Gedicht inspiriert, das ich Vers für Vers in die Nähe der SDK-Tags geklebt habe. Der Satz beschreibt einen Weg von der Coppistraße bis zur Brache, in die ich ein Portrait der Claytonia mit ihrem botanischen Namen geklebt habe."

Stéphanie Cailleau 2024

Unter deinen Füßen ein Samenkorn

sie klammert sich an dich

sie folgt dir Schritt für Schritt

schweigend wartet sie

sie schlägt hier Wurzeln


Claytonia perfoliata